Studientag in München

(14.12.2022)

Das Archiv des Ordens sowie die Ordensgeschichte am Beispiel der Einrichtung im Schloss Schweinspoint, in welchem die Barmherzigen Brüder von 1860 bis 1971 tätig waren, standen im Mittelpunkt dieses Studientages.

Spannende Einblicke in die Geschichte von Schweinspoint

Studientag der Barmherzigen Brüder in München am 10. Dezember

Einen anschaulichen Blick in das Leben und Wirken der Barmherzigen Brüder in der Stiftung St. Johannes in Schweinspoint bot Dr. Franz Josef Merkl bei einem Studientag in München. Der Historiker ließ die Geschichte der Einrichtung der Behindertenhilfe von der Gründungszeit über die entsetzlichen Ereignisse in der NS-Zeit bis hin zur Übergabe der Einrichtung an die Caritas Revue passieren. Zuvor stellte Frater Magnus Morhardt seine Arbeit im Archiv der Bayerischen Ordensprovinz vor.

Der Winter hatte sich erstmals in München zu Wort gemeldet, als sich zehn Brüder an einem Samstagmorgen dort zum Studientag versammelten. Frater Magnus Morhardt,  Provinzsekretär und Archivar des Ordens, stellte zuerst das „historische Gedächtnis“ der Ordensprovinz vor: Das Archiv ist in verschiedenen Räumlichkeiten im Provinzialat untergebracht und beherbergt hunderte von Archivalien, die zu weiten Teilen bereits geordnet, verzeichnet und damit für Interessierte – Wissenschaftler:innen, Buchautor:innen und Familienforscher:innen – benutzbar sind. Das Provinzarchiv besteht zum Großteil aus Schrifttum, das im Provinzialat, in den Ordenseinrichtungen und Konventen entstanden ist. Eine Besonderheit stellen hier die Akten des seligen Eustachius Kugler und des Dieners Gottes Frater Fortunatus Thanhäuser dar. Es gibt aber auch einen umfangreichen Bildbestand und ein Medienarchiv mit historischen Dias, Film- und Tonaufnahmen. Außerdem werden Veröffentlichungen des Ordens wie Bücher, Broschüren oder Flyer systematisch gesammelt, wie auch in der Zentralbibliothek in Regensburg.

Der Hauptreferent des Studientages, Franz Josef Merkl, hat für seine historische Arbeit zur Stiftung St. Johannes in Schweinspoint und für seinen Beitrag für Festschrift „400 Jahre Barmherzigen Brüder in Bayern. Hospitalität schafft Zukunft“ über die Behindertenhilfe das Münchner Archiv rege genutzt. Der Diplom-Verwaltungswirt und promovierte Historiker gab spannende und bewegende Einblicke in die Geschichte der Einrichtung der Behindertenhilfe in Nordschwaben, in der zwischen 1860 und 1971 Barmherzige Brüder tätig waren.

Ein Zuhause für „unheilbare Kranke“

Seinen Vortrag über die Geschichte der Stiftung begann Merkl im Jahr 1856, als ein Vertreter der Regierung von Schwaben und Neuburg bei Provinzial Pater Magnobonus Markmiller eine Anfrage zur Unterbringung von „unheilbaren Kranken“ gestellt hat. Bis zum Ankauf des Schlosses von Schweinspoint durch den Orden der Barmherzigen Brüder vergingen noch vier Jahre. Erster Klient der erst 1864 endgültig von der Regierung genehmigten „Anstalt für männliche Unheilbare im Kloster Schweinspoint“ war 1861 ein zehnjähriger Junge aus dem Westallgäu, der an Epilepsie litt.

Aufgrund politischer Umstände konnte die Einrichtung für Menschen mit Behinderungen nur als Stiftung geführt werden. Der Prior führte als Einrichtungsleiter ein eigenes Siegel. Er war damit quasi ein Beamter der königlichen Regierung. Merkl berichtete von weiteren markanten Ereignissen aus der Geschichte Schweinspoints: 1909 ließen die Barmherzigen Brüder aus Platzgründen eine eigene, geschmackvoll ausgestattete Kirche erbauen. 1910/11 wurde eine Wasserleitung gebaut.

Im Ersten Weltkrieg herrschte laut den Aufzeichnungen von Subprior Frater Joachim Vogel in Schweinspoint – im Gegensatz zu anderen Einrichtungen der Behindertenhilfe – keine größere Not. Durch die eigene Landwirtschaft konnten die Bewohner ernährt werden. Ein großer Teil der Brüder war zum Kriegsdienst eingerückt, lediglich neun Professbrüder bildeten 1918 den Konvent. Neben Menschen mit Behinderungen lebten in Schweinspoint Pensionäre und Pflegebedürftige; zudem übernahmen die Brüder, wie etwa auch in Johannesbrunn, die ambulante Pflege im Dorf. Bei der Übergabe der Stiftung an den Caritasverband der Diözese Augsburg 1971 bestand der Konvent noch aus fünf Brüdern, letzter Vikar war Frater Wolfang Kaiser.

Filmdokument zeigt Alltagsleben

Ein Film mit dem Titel „Pflegeanstalt Schweinspoint“, wohl aus dem Jahr 1932, bot ein höchst interessantes Bild vom Leben der Brüder und Betreuten. Der 19-minütige Film zeigt das frisch herausgeputzte Hauptgebäude sowie Bewohner, die glücklich ihr Leben gestalten, Bewohner beim Arbeiten in der Landwirtschaft, in der Wäscherei, beim Stricken oder beim Teppichklopfen oder beim Ringelreihen mit der Dorfjugend. In einer Gruppenaufnahme mit drei Professjubilaren ist auch der damalige Provinzial Frater Eustachius Kugler zu sehen, der wohl zur Visitation in Schweinspoint weilte.

Nur ein Jahr nach den Filmaufnahmen begann die für Einrichtungen der Behindertenhilfe besonders bedrohliche Zeit des Nationalsozialismus. Franz Josef Merkl zeigte ein Bild, das den „schönen Schein“ der NS-Zeit veranschaulicht: Erntedank wird als frohes Volksfest im Ort gefeiert; das Fest wurde allerdings aus dem kirchlichen Kontext gerissen. Wenig später wurden Barmherzige Brüder von der Gestapo verhaftet, darunter Frater Claudius Dorsch, weil er „gegen Hitler gesprochen“ hatte. Letzterer wurde nach seiner Entlassung zur Wehrmacht eingezogen und starb schließlich in russischer Kriegsgefangenschaft.

Grausamkeiten in der NS-Zeit

Wie in allen Einrichtungen der Behindertenhilfe in Bayern zeigte sich auch in Schweinspoint der menschenverachtende Umgang der Nationalsozialisten mit Menschen mit Behinderungen. Nach 1933 wurden über 100 Bewohner aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangsweise sterilisiert. Im Jahr 1940 wurden 203 Bewohner zunächst in andere psychiatrische Einrichtungen „verlegt“; nachweislich ca. 150 von ihnen wurden in der Tötungsanstalt Grafeneck (Württemberg) ermordet, darunter auch ein Barmherziger Bruder. Andere starben nach dem offiziellen Euthanasiestopp durch eine gezielte Mangelernährung. Einige Bewohner wurden als „Arbeitspfleglinge“ deklariert und dadurch gerettet oder wurden nach Hause entlassen.

Ab 1936 wurden Brüder und Dienstboten zum Militär eingezogen. Frater Kilian Holzner fiel im Zweiten Weltkrieg in Polen, Frater Columbus Schütz blieb vermisst. In Schweinspoint selbst wurden im Laufe des Kriegs hunderte von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und Evakuierten aus zerbombten Städten aufgenommen. Aus der Stiftung Attl kamen 29 Bewohner, weil die dortige Pflegeanstalt für Bessarabien-Deutsche geräumt werden musste.

In den letzten Kriegstagen mussten 1945 nach Luftangriffen etwa 50 Bewohner eines Altenheims in Donauwörth samt fünf Barmherziger Schwestern aufgenommen werden. Deren Unterbringung und Verpflegung wie auch die der Kriegsgefangenen stellte eine große Herausforderung dar. Am 25. April erreichte ein Bataillon der US-Armee Schweinspoint. Die Befreiung des Dorfes vom Nationalsozialismus zog sich zwei Tage und zwei Nächte hin. Die amerikanischen Soldaten fanden neben den 450 Bewohnerinnen und Bewohnern auch 500 Kriegsgefangene vor.

Gebete von heute für die Schicksale von einst

In einem Gottesdienst in der Krankenhauskirche, den Pater Thomas Väth zum Abschluss des Studientages zelebrierte, nahmen die Brüder die menschlichen Schicksale der Hausgemeinschaft von Schweinspoint ins Gebet. Der Bericht über die Ereignisse der NS-Zeit wirkte noch nach.

Frater Magnus Morhardt