125 Jahre Gremsdorf

(08.07.2022)

Vom 24. bis 26. Juni konnte die heutige Barmherzige Brüder Behindertenhilfe/Region Mittelfranken endlich das 125-jährige Bestehen in Gremsdorf mit Festakt, Konzert und Sommerfest feiern. Hier ein Artikel über das lange Wirken in Franken.

Eine fränkische Perle im Wandel der Zeit

125/126 Jahre Barmherzige Brüder Gremsdorf (wegen Corona ein Jahr später)

Bereits Jahrhunderte bevor die Barmherzigen Brüder der Bayerischen Ordensprovinz ein ehemaliges Klostergebäude samt Ländereien im damals oberfränkischen Dorf Gremsdorf erwarben, hatten sich Benediktinermönche aus der Bamberger Abtei am gleichen Ort ein sogenanntes Amtsschloss gebaut, um von dort aus ihre Besitztümer in dieser Region zu verwalten. Eine Urkunde aus dem Jahr 1288 bestätigt dies.

Nachdem im Jahr 1525 marodierende Bauern das Klostergebäude völlig dem Boden gleichgemacht hatten wurde ein neues Schloss – und zwar im barocken Stil – errichtet. In Folge der Säkularisation kam dann im Jahr 1803 das benediktinische Amtsschloss direkt in den Besitz des Königsreichs Bayern. Von da an diente es unter anderem als Sitz des Amtsgerichts Höchstadt. Es waren eine Gastwirtschaft und ein Tanzsaal darin untergebracht und für wenige Jahre auch eine Bürstenfabrik.

Am 4. April 1895 erwarb der Provinzial der Bayerischen Ordensprovinz, Frater Cajetan Pflügl, das Anwesen für 25.000 Goldmark. In einem Schreiben des königlich bayerischen Staatsministeriums des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 29. Dezember 1895 heißt es:

„Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayern Verweser, haben sich allergnädigst bewogen gefunden, dem Orden der Barmherzigen Brüder in Bayern zum Zwecke der rechtsgültigen Erwerbung des eine Gesamtfläche von etwa 0,571 ha umfassenden Anwesens Hs. Nr. 7b in der Steuergemeinde Gremsdorf, bestehend aus Wohnhaus, Nebengebäuden, Garten, Gruben, Hofraum und Brunnenanteil, samt allen damit verbundenen Rechten und Gerechtsamen die Allerhöchste landesherrliche Genehmigung zu erteilen.“

Am 17. März 1896 kamen der erste Prior Frater Erhard Bräu zusammen mit Frater Felix Siebenhaar als Koch und Frater Eucherius Drexel als Maurermeister und Maler nach Gremsdorf. Die Grundsteinlegung für die Klosterkirche erfolgte am 1. November 1906, am 5. September 1907 wurde sie geweiht. Im Jahr 1899 übernahm Frater Eustachius Kugler das Amt des Subpriors des auf sechs Brüder angewachsenen Konvents für drei Jahre. Ab 1914 war der im Jahr 2009 seliggesprochene Frater für acht Jahre Prior im fränkischen Kloster. Kurz nach seinem Amtsantritt brach der Erste Weltkrieg aus, und der Pater Prior berichtete in der Hauschronik von „großen Entbehrungen und Einschränkungen“, von „enormer Lebensmittelknappheit“, von einer „Grippewelle, der innerhalb weniger Tage 50 Mann zum Opfer fielen“.

Die dunkelsten Stunden in der NS-Zeit

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 bedeutete für die damalige Pflegeanstalt und ihre vielen Bewohner sehr bald eine Zeit schlimmster Verbrechen. Infolge der später so genannten Aktion T4 – „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ – wurden allein zwischen dem 18. Februar und dem 1. Juli 1941 weit über 200 „Pfleglinge“ aus der Gremsdorfer Einrichtung deportiert. Sie kamen in psychiatrische Krankenhäuser der Umgebung, viele von ihnen wurden schließlich ins oberösterreichische Konzentrations- und Vernichtungslager Hartheim verbracht, wo sie in Gaskammern ermordet wurden. Nachdem die letzten Kinder und Männer mit Behinderung weggeschafft und die meisten Ordensbrüder zum Kriegsdienst eingezogen waren, diente die Anstalt in Gremsdorf als Flüchtlingslager und Lazarett.

Wenige Monate nach Kriegsende nahmen mit der ausdrücklichen Genehmigung der damaligen amerikanischen Besatzungsmacht in Bayern die Barmherzigen Brüder wieder ihre Behindertenarbeit auf.

1965 schrieb der „Fränkische Tag“ anlässlich der 70 -Jahr - Feier:

„Es ist nicht abzustreiten, die Heil- und Pflegeanstalt ist in der Gemeinde Gremsdorf eigentlich ein kleines Dorf für sich. Immerhin hat sie 350 Insassen. Dazu kommt das Personal. Man hat eine eigene Kirche, eine eigene Bäckerei, Metzgerei, Wäscherei und man hat auch eine eigene Landwirtschaft, die in der Lage ist, die Anstalt fast ganz zu versorgen.“

Zur beginnenden Modernisierung der Barmherzigen Brüder Gremsdorf trug das 1975 errichtete Verwaltungsgebäude bei. Ab 1976 nahmen die spanischen Hospitalschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu („Menni-Schwestern“) für 16 Jahre ihre Tätigkeit auf.

Bei seiner kanonischen Visitation im Jahr 1987 sprach Generalprior Pierluigi Marchesi davon, dass es am Ende dieses Jahrtausends „endgültig Abschied zu nehmen gelte von vielen traditionellen Formen der Krankenpflege. Diesem Wandel müsse auch der Orden Rechnung tragen“.  Und die Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Brüder setzte in den folgenden Jahrzehnten diese visionären Gedanken von höchster Stelle auch in Gremsdorf in die Tat um. Die Leitung des Hauses, die bisher in den Händen des jeweiligen Priors lag, übernahm ein Direktorium, bestehend aus Fachleuten in den Bereichen Wohnen, Arbeiten, Technik und Verwaltung. An der Spitze stand von nun an ein weltlicher Gesamtleiter.

Fachschule, Förderstätte, Modernisierung

Am 1. September 1989 öffneten sich die Tore der neu errichteten Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe. Die Therapiewerkstatt bekam 1991 ihre staatliche Anerkennung. Eine Förderstätte nahm ihre Arbeit auf. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurden sechs neue Wohnhäuser auf dem Gelände errichtet, aus ehemaligen Schlafsälen mit bis zu 20 Betten wurden Einzel- und Zweibettzimmer, individuell eingerichtet. Werkstätten und Förderstätten erfuhren einen Ausbau, sie spezialisierten sich. In der Einrichtung hieß es aber auch Abschied zu nehmen. Im Jahr 1992 verließen die spanischen Schwestern Gremsdorf. Am 19. Juni wurde nach dem Weggang der letzten drei Ordensbrüder der Konvent aufgelöst. Landwirtschaft, Gärtnerei und Metzgerei wurden geschlossen. Die übrigen Versorgungsbetriebe bezogen neue, modernisierte Räumlichkeiten. Ab 24. April 2017 verstärken drei indische Schwestern vom Orden „Andhra Little Sister of Christ“ die Hausgemeinschaft Gremsdorf. Sie arbeiten als pädagogische Fachkräfte in den Wohnangeboten. Am 12. Juli 2017 segnete der Bamberger Erzbischof Prof. Dr. Ludwig Schick den Konvent der indischen Schwestern.

Ein weiterer Modernisierungsschritt war die Verbindung aller vier bayerischen Behinderteneinrichtungen zu einer GmbH im Jahr 2009. Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) begann ein ganz neuer Abschnitt in der Behindertenhilfe. Die Schlagworte lauten nun Personenzentrierung, Sozialraumorientierung und Teilhabe mit weitreichenden Auswirkungen in den Bereichen Wohnen, Fördern und Arbeiten.

Johannes Salomon